Ein analoger Bericht über Zürich:
tagi.ch/dyn/news/zuerich/584906.html
Hartes Pflaster für Prostituierte
Die Repression im Milieu zeigt Wirkung: Prostituierte suchen laut Fachleuten vermehrt in der Agglomeration nach Arbeit. Das schafft neue Probleme.
Seit 1991 verfolgt die Stadt Zürich ein ehrgeiziges Projekt: ein Langstrassenquartier ohne Strassenprostitution. Mit einigem Erfolg: Es sind weniger Frauen geworden, die auf der Strasse oder aus beleuchteten Fenstern um Freier werben.
Und wer es nach wie vor tut, riskiert empfindliche Bussen, im Wiederholungsfall geht es um mehrere Hundert Franken. Während sich Anwohner, Gewerbler und auch manche Langstrassenbesucher für die neue Lebensqualität im Quartier bedanken, ist die Repression für viele Prostituierte zum existenziellen Problem geworden. Nicht allen gelingt es, auf eine Bar oder einen Nachtklub auszuweichen.
«Die täglichen Kosten sind für eine Prostituierte massiv gestiegen, zum Beispiel für die Miete eines Zimmers», sagt Marianne Schertenleib vom Fraueninformationszentrum (FIZ) im Kreis 4. Weil es im Langstrassenquartier immer weniger Häuser gibt, in denen dem Geschäft nachgegangen werden kann, sind die Preise massiv gestiegen. Schertenleib: «Der Druck auf das Milieu wird so zu einem guten Geschäft für die Hausbesitzer. Und in einzelnen Fällen kommen selbst Hauswarte auf die Idee, noch etwas extra zu verlangen.» All dies wäre kein Problem, wären die Preise für Sexdienstleistungen ebenfalls angestiegen.
Das Gegenteil ist der Fall, wie alle Fachleute bestätigen. «Viele Prostituierte können sich unter den veränderten Bedingungen in der Stadt nicht mehr über Wasser halten» , sagt Adrian Klaus von der Beratungsstelle Basta des Vereins Arche.
Isoliert in anonymen Quartieren
Das hat Folgen: «In einer ersten Phase mieteten sich viele Frauen eine günstigere Wohnung auf dem Lande, arbeiteten aber weiterhin in der Stadt. Jetzt suchen sie in der Agglomeration eine Verdienstmöglichkeit, oft in Klubs, wo mehrere Frauen arbeiten» , sagt Sandra Vasquez, Mitarbeiterin der Beratungsstellen Primadonna in Winterthur und Isla Victoria in Zürich.
Diese Entwicklung schaffe neue Probleme. Eine soziale Integration in den meist anonymen Quartieren sei insbesondere für ausländische Frauen äusserst schwierig; die täglichen Kontakte beschränkten sich oft auf Freier und andere Prostituierte. Die Abhängigkeit von Bordellbetreibern nehme so zu, sind sich die Fachleute einig.
Und niederschwellige Beratungsstellen, wie sie in der Stadt existieren, gebe es dort keine. «Wir versuchen, auch diese Frauen auf unsere Angebote hinzuweisen. Doch in manchen Klubs wird uns der Kontakt schlicht verweigert» , kritisiert Vasquez.
Marianne Schertenleib vom FIZ betont, dass sie die Frauen keineswegs einfach als ausgebeutete Opfer betrachteten. «Wir akzeptieren den Beruf der Sexworkerin. Es ist aber wichtig, diese Frauen zu informieren, wie unser Sozialsystem funktioniert oder dass Safer Sex nicht verhandelbar sein darf. In der Praxis sehen wir leider oft das Gegenteil. Wo Klubs ‹Sex wie zu Hause› anbieten, ist klar, dass dort arbeitende Frauen unter Druck gesetzt werden – ein lebensgefährlicher Druck.»
Kritik an Vertreibungspolitik
Der Weg in die Sexindustrie sei eine frauenspezifische Form der Migration in reiche Länder, betonen Fachleute. Das Motiv sei meist die Unterstützung der Familie zu Hause. Für die Reise brauche es aber neben Mut auch Geld. Hochverzinsliche Schulden bei Agenturen oder Bekannten seien ein grosse Belastung für ausländische Prostituierte.
Die ersten drei Monate würden sie grundsätzlich legal als Touristinnen in der Schweiz verbringen. Durch ihre Tätigkeit, die als Beruf nicht anerkannt wird, würden sie sofort kriminalisiert. Die Folgen seien Isolation im Sexgewerbe, Abhängigkeit von der Willkür der Agenturen, Klubbesitzer, Vermieter, Freier und in besonderem Masse der Polizei.
Marianne Schertenleib ist überzeugt: «Es wäre naiv, zu glauben, die Vertreibungspolitik im Langstrassenquartier würde die Nachfrage nach Sexdienstleistungen vermindern. Das Geschäft findet nur vermehrt an Orten statt, wo die Frauen auf sich alleine gestellt sind.»
Mehr Salons, mehr Prostituierte
Die Zürcher Stadtpolizei hat im letzten Jahr zehn Prozent mehr Prostituierte registriert als 2004. Gemäss Statistik waren 3990 Frauen und Männer im horizontalen Gewerbe tätig, im Vorjahr 3581. In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Prostituierten gemäss Polizeistatistik stetig zugenommen – trotz verstärkter Repression im Langstrassenquartier.
Die Aussagekraft dieser Zahlen muss allerdings etwas in Frage gestellt werden: Die Zahl der registrierten Prostituierten ist von der Anzahl durchgeführter Kontrollen abhängig. Auch die Zahl der legalen Neueinsteigerinnen hat von 399 auf 477 markant zugenommen. Ein grosser Teil komme aus EU-Ländern – vor allem Deutschland, Italien und Spanien –, sagt Polizeisprecherin Judith Hödl.
Wegen der Personenfreizügigkeit dürfen Frauen und Männer aus diesen Ländern legal in der Schweiz arbeiten. Die Mehrheit aller Prostituierten stamme aber nach wie vor aus Südamerika und Thailand. Die Stadtpolizei registrierte auch 32 neue Sexetablissements, 428 gibt es davon gemäss Statistik.