Rotlicht zieht aufs Land. Heute in den Zeitungen des Espace-Mitteland:
quote:Das Rotlichtmilieu zieht ins Grüne Die Mieten sind günstiger, und die Freier schätzen die Anonymität. Deshalb zügeln viele Sexworkerinnen aufs Land. Allerdings ist das Geschäft hier härter: Die Frauen arbeiten schutzloser als in der Stadt.
Der Erotik-Keller in Ostermundigen, der Erlebnis-Club beim Bahnhof Zollikofen: Die Kleininserate in dieser Zeitung zeigen, dass immer mehr Prostituierte in der Agglomeration und in den Dörfern bei den Autobahnen arbeiten. Aus der Stadt aufs Land ziehen sie, weil dies gut fürs Geschäft ist: Die Mieten sind günstiger, und die Freier schätzen Diskretion. Doch diese Vorteile haben ihren Preis: In der Agglo werden Prostituierte mehr ausgebeutet und häufiger abgezockt.
Mehr Probleme haben sie, weil hier Xenia fehlt. Die Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe hilft bei gesundheitlichen oder juristischen Fragen, vermittelt Ärztinnen und Anwältinnen und unterstützt die Sexworkerinnen bei ihrem Kampf gegen dubiose Typen und rücksichtslose Vermieter.
Beratung nur in der Stadt
Xenia-Beraterin Martha Wigger bestätigt den Trend aufs Land, kann allerdings keine Zahlen nennen. Bloss auf Vermutungen angewiesen ist sie, weil ihre Institution hier nicht aktiv werden darf. Xenia erhält für die Beratungsstelle Subventionen aus Bern und für das Gesundheitsangebot Geld aus Biel und Thun und kann deshalb nur Prostituierte aus diesen drei Städten unterstützen. 20 Prozent Auswärtige billigt man der Beratungsstelle immerhin zu.
Das Rotlichtmilieu hat viele Grauzonen. In Bern, Thun und Biel gelingt es Xenia, dunkle Winkel auszuleuchten. In der Region jedoch sind die Frauen schutzlos – und die Behörden häufig ahnungslos. «Die Gemeinden und die Polizei wissen oft gar nicht, wo Sexworkerinnen arbeiten und dass diese übervorteilt werden», erklärt Martha Wigger.
Der Trend aufs Land werde sich noch verstärken, glaubt die Expertin. Weil sie nicht in der Gewerbezone liegen, hat die Stadt Bern in den letzten Jahren zwei Häuser mit Salons geschlossen. Zwei weiteren Gebäuden mit Etablissements droht das gleiche Schicksal. «Rund 100 Frauen müssten dann einen neuen Arbeitsort suchen», so Martha Wigger. «Sie werden ihn in der Agglomeration finden», vermutet sie.«Ein Job wie jeder andere»
«Die Stadt lässt offen, wie sie zum Sexgewerbe steht», kritisiert Martha Wigger die Behörden. Juristisch sei es zwar in Ordnung, dass die Baupolizei Häuser schliesse, welche die Vorschriften nicht erfüllen, räumt sie ein. Doch habe man die Salons dort 15 Jahre lang geduldet und damit Gewohnheitsrecht geschaffen. «Wenn die Stadt schon das Gewerbe fördern will», so Martha Wigger, «dann soll sie bitte auch ans Sexgewerbe denken.»
Xenia berät jährlich rund 110 Frauen intensiv, mit weiteren 1000 führt sie Gespräche. Die Einrichtung mit 190 Stellenprozenten will das Sexgewerbe weder abschaffen noch fördern, sondern die Arbeitsbedingungen verbessern. «Prostitution muss als Job wie jeder andere anerkannt werden», fordert Martha Wigger. «Wer freiwillig als Sexworkerin arbeiten will, soll dies tun.» Ein harter Beruf sei es. «Man muss auf die Kunden eingehen, sich aber abgrenzen können», sagt sie. «Wir unterstützen Aussteigerinnen nicht aus moralischen Gründen, sondern weil es ein Beruf ist, für den sich nicht alle eignen.»
Diskrete Branche
Das Rotlichtmilieu zügelt unter anderem ins Grüne, weil die Freier hier nicht damit rechnen müssen, als Sexkunde entlarvt zu werden. Diskretion ist in der Branche nicht nur für die Abnehmer wichtig, sondern auch für die Anbieterinnen. Dies bekam auch diese Zeitung zu spüren. Keine Prostituierte wollte uns etwas über ihre Arbeit in der Agglomeration erzählen. Peter Steiger
«Wir wissen, dass sich die Szene von der City aufs Land verlagert», bestätigt Kapo-Sprecher Jürg Mosimann. Rund hundert Etablissements ausserhalb der Stadt Bern kenne die Kantonspolizei, sagt er, die Grauzone sei aber vermutlich gross.
«Die Kapo handelt primär als Gerichtspolizei», erklärt er. Als Delikte nennt er unter anderem Drogen- oder gar Menschenhandel, Förderung der Prostitution und Vergehen gegen die Ausländerbestimmungen. Mosimann spricht von «oft schwierigen Ermittlungen». Viele Prostituierte seien unkooperativ. «Manche Ausländerinnen fürchten sich vor Repressalien aus ihrem Umfeld, wenn sie aussagen und damit jemanden belasten», weiss Mosimann. Und: «Einige haben in ihren Heimatländern schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht.»<!-/quote-!>