Die kaum verhüllte Prostitution beschränkt sich keineswegs auf die Hauptstadt oder auf bekannte Touristenzentren wie Pattaya oder Phuket: Auch in den verschlafensten Orten sind Bordelle zu finden, untergebracht in Teehäusern, Massagesalons und Karaoke-Bars.
Wie viele Frauen, Männer und Kinder in der thailandischen Sex-Industrie arbeiten, weiß niemand. Verbotene Wirtschaftszweige veröffentlichen keine Bilanzen.
In einer Studie der Bangkoker Chulalongkorn-Universität wird die Zahl der Prostituierten auf mindestens 200.000 geschätzt. Aids-Aktivisten gehen sogar von einer Million Prostituierten in dem 61-Millionen-Einwohner-Land aus.
Sicher ist: Das Geschäft mit dem Sex zählt mittlerweile zu den wichtigsten Säulen der enormen Schatten-Ökonomie in Thailand, noch vor dem Drogenhandel. Größere Summen werden nur im ebenfalls verbotenen Glücksspiel umgesetzt.
Die meisten Kunden der Etablissements sind Einheimische. „Ausländer", sagt Aids- und Migrationsforscher Allan Beesey von der Chulalongkorn-Universität vorsichtig, „machen grob geschätzt vielleicht zehn Prozent aus."
In Bangkok konzentrieren sich die europäischen, amerikanischen und australischen Sex-Touristen auf wenige Viertel. Neben „Super Pussy"- oder „I Love You"- Bars locken dort in den Hinterzimmern Show Spezialitäten, die schon auf der Straße angepriesen werden: darunter „Rasierklinge", „Banane", „Pingpong". Andere Bars haben sich auf „hübsche Jungs" für die homosexuelle Kundschah spezialisiert.
Es sind solche - weithin sichtbaren - Rotlichtviertel, die den Ruf Thailands
als Paradies für den Sextourismus begründeten. Sie entstanden in den sechziger und siebziger Jahren, als sich hier Hunderttausende US-Soldaten und ihre Alliierten während des Vietnamkriegs von ihren Einsätzen erholten.
Als der Krieg 1975 endete, brach das Geschäft keineswegs zusammen: Beinahe nahtlos folgten den GIs die Touristen. Zuerst viele Backpacker, die sich in der Schönheit der Inselwelt verloren, dann alleinreisende Männer, die der günstige Wechselkurs vor Ort genauso anzog wie das grazile Aussehen der Frauen. Woher die neueste Welle der Kunden stammt, ist an den russischen Schildern zu erkennen, die inzwischen in fast allen Bars der großen Urlaubszentren hängen.
Auch die einheimische Nachfrage nach käuflichem Sex ist in den vergangenen Jahrzehnten stark angewachsen. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der achtziger und neunziger Jahre konnten sich plötzlich immer mehr thailändische Männer den Besuch von Prostituierten leisten.
Zudem brachte der Bauboom Hunderttausende Wanderarbeiter aus der Provinz nach Bangkok und in die neuen Industriezonen. Jobsuchende junge Frauen aus den unterentwickelten Regionen des Nordostens und Nordens folgten. Viele landeten in Bordellen,
Die Geschichte von Nat steht stellvertretend für viele: Mit 14 kam sie nach Bangkok, steckte erst für 30 Mark im Monat Plastikblumen und nähte dann für 90 Mark im Monat Handschuhe. Mit 17 zwang ihre Mutter sie, einen Mann zu heiraten, der sie misshandelte. Nat lief weg, hatte kein Zuhause, kein Geld. „Da bin ich nach Patpong gegangen. Ich war ja sowieso keine Jungfrau mehr".
Wie viele ihrer Kolleginnen, hat Nat einen Dienstvertrag mit der Bar, in der sie anschafft. Für einen Grundlohn von knapp 100 Euro muss sie die Gäste zum Trinken animieren und mit mindestens vier Kunden pro Monat mitgehen; die Freier müssen der Bar dafür eine „Auslöse" zahlen. Erfüllt sie diese Quote nicht, behalten die Chefs einen Teil des Lohns ein. Alles Geld, was Nat außerhalb der Bar verdient, gehört ihr.
Abseits von Bangkoks bekannten Rotlicht-Bezirken sind solche minimalen Sicherheiten eher rar. Dort arbeiten vielfach Frauen aus den armen Nachbarländern Burma, Kambodscha, Laos, Vietnam und China. Als Illegale stehen sie am untersten Ende der Hierarchie, ausgeliefert den Schleppern und Zuhältern, denen sie die Kosten für die Reise len müssen. Oft dauert es Jahre, bis sie „schuldenfrei" sind.
Berichte über die Sex-Industrie lösen in der thailändischen Offentlichkeit empörte Debatten aus. Sie stören das -
gegen alle Öffensichtlichkeit verteidigte - Selbstbild einer Gesellschaft, die traditionell prüde und körperscheu ist: Frauen sollen jungfräulich in die Ehe gehen, Umarmungen, Küsse oder Händchenhalten sind in der Öffentlichkeit tabu, und auch gute Freunde grüßen sich mit dem distanzierten Wai, den gefalteten Händen vor der Brust. Eine Prostituierte erklärt bitter: „Wir werden wie Geister behandelt. Wir sind überall, aber man tut so, als seien wir unsichtbar."
Nachdem nun die Regierung vor etwa sechs Monaten begann, alle Sexviertel genau zu kontrollieren, erlitt das Sex-Geschäft zum Teil ganz emfindliche Einbussen. Die Polizei machte Jagd auf die Mädchen in den Bars und nach 2.00 Uhr früh auch auf die Barbesitzer. Denn nach den neuesten Weisungen war im ganzen Land für diese Betriebe um 2.00 Uhr früh Schluss.
Wer sich nicht daran hielt, wurde mit Bussen bis zu 10.000 Baht bestraft und im schlimmsten Fall wurde das Etablissement geschlossen. Nur für einige Tage selbstverständlich, denn die Polizei ist natürlich daran interessiert, solche Einnahmequellen nicht einfach versiegen zu lassen.
Mit anderen Worten begann man etwas auszurotten, das es gar nicht gab. Denn wie schon erwähnt, gibt es in Thailand keine Prostitution.
Aber die Regierung unterliegt einem grossen Irrtum, wenn sie glaubt, damit das Problem in den Griff zu bekommen.
Sie erreichte allenfalls, dass die Bars und alle anderen Betriebe dieser Art offiziell nun um 2.00 Uhr geschlossen wurden und sich die Gäste nun bei Kerzenlicht im Hintergrund weitervergnügten.
Zu glauben, dass jetzt plötzlich Thailand einen Heiligenschein bekäme, ist ein grosser Trugschluss.
In jedem Land der Welt kann ein williger Kunde Sex gegen Geld haben. Warum soll dies in Thailand anders sein?
Abgesehen davon ist so eine Ausrottung ganz einfach nicht durchführbar. Sollte man aber gegen jede Vernunft dies doch versuchen, tauchen da ein paar kleinere Problemchen auf.
- Geht man von der Zahl von 500.000 Prostituierten aus, würde das bedeuten, dass nicht nur diese halbe Million Mädchen arbeitslos würden, nein mindestens die Hälfte davon hat bereits Kinder, die sie ernähren müssen. Dies wäre jetzt nicht mehr möglich. Ebensoviele, wenn nicht sogar noch mehr, unterstützen mit dem verdienten Geld ihre Familien. Auch dies würde damit verhindert.
Oder stellt die Regierung jetzt plötzlich 500.000 neue Arbeitsplätze zur Verfügung, nachdem die Arbeitslosenzahl in Thailand ja sowieso unheimlich hoch ist?
- Mindestens 75% aller Unterhaltungsbetriebe müssten dadurch geschlossen werden. Das würde heissen, dass alle Service-Angestellten in den Ruhestand gehen könnten. Vergessen wir nicht, dass davon auch das Reinigungspersonal betroffen wäre. Dies dürften nochmals ungefähr 50.000 Personen sein. Dass mit der Schliessung dieser Etablissements auch die Strom- und Wassereinnahmen um einen hohen Betrag zurückgingen, wäre ein weiterer Nebeneffekt.
- Alle Zulieferfirmen vom Bier bis zu den Servietten könnten vermutlich sehr viel Personal einsparen.
- Wir wagen zu bezweifeln, dass nur wegen der Schliessung der Bars um 2.00 Uhr viel weniger Touristen kommen würden. Da die Polizei jedoch allgegenwärtig sein müsste, und zwar überall in jedem Dorf, würde das bedeuten, dass man keinen Schritt gehen könnte, ohne dass ein Polizist in der Nähe ist. Und ob dies die Touristen zu schätzen
wissenlässt sich nur schwer ermitteln. Dass man damit nur das ganze Gewerbe in den Untergrund verdrängt, scheint noch keinem dieser Herren Politiker in den Sinn gekommen zu sein. Ebenso dass mit dieser Verdrängung alles unkontrollierbar wird. Bis vor kurzem lief doch noch alles einigermassen in der Öffentlichkeit ab, ohne Versteckspielen.
Dass man gleichzeitig versucht, das Drogenproblem, das in diesem Metier unzweifelhaft herrscht, in den Griff zu bekommen, ist in Ordnung. Nur wäre auch hier ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl vonnöten.
Doch der Ursprung dieser Razzien war eindeutig die Prostitution.
Nur begonnen hat man nun mal mit dieser unsinnigen Aktion, also wird man einige Geduld aufbringen müssen, bis sich die Lage wieder etwas beruhigt hat. Es ist aber auch durchaus denkbar, dass diese Aktion nur für das thailändische Volk aufgezogen wurde. Nur um zu beweisen, dass die Regierung voll da ist und die Interessen der thailändischen Moral zu vertreten weiss. Denn Publicity für diese Säuberungsaktionen wurde weiss Gott genug gemacht.
Schlagzeilen und übergrosse Fotos von irgendeiner Razzia mit verhafteten Mädchen und deren Chefs waren in den Thai-Zeitungen an der Tages-Ordnung. Dass auch am TV diese Polizei-Einsätze sehr gern und auch sehr oft gezeigt wurden, versteht sich von selbst.
Die Herren Politiker gingen sogar so weit, dass sie im Parlament darüber diskutierten, dass ab sofort keine Frauen mehr Bars besuchen, respektive sich’ nicht in den Innenräumen einer Bar aufhalten dürften. Und dass alle unzüchtig angezogenen Frauen auf das Revier mitgenommen würden, um die Personalien aufzunehmen und allenfalls eine kleine Gabe zu entrichten.
Leider wurde nie bekannt, wer in so einem schwerwiegenden Fall entscheidet, was unzüchtig ist und was nicht.
Doch von diesem wirklich phänomenalen Schachzug hat man die letzten zwei Monate nichts mehr gehört.
Vielleicht kann man in einem Jahr dasselbe von den erwähnten Säuberungsaktionen gegen die Prositution vermelden.
Es scheint nämlich jetzt schon wieder ein wenig lockerer zuzugehen in den Bars.
Auf jeden Fall sollte man sich schon bevor man mit unsinnigen und nicht durchführbaren Aktionen beginnt, überlegen, was für Folgen sie haben können.
Und da scheint es leider ein bisschen zu hapern.
Fridu