Warum Frauen auf Audioerotik stehen

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Ältere Semester erinnern sich vielleicht an den Text von Polo Hofers unsterblichem Hit « Giggerig», wo er singt: «Ich han en Vogel im Buuch, myni Ohre sy heiss. Mir gumpet ds Härz und mir lauft dä Schweiss.» In meinem heutigen Blog geht es allerdings weniger darum, wie sich Lustgefühle auf gewisse Körperteile, sprich Ohren, auswirken, sondern darum, wie das gesprochene Wort die eigene Libido beeinflussen kann. Genauer gesagt geht es um die sogenannte Audioerotik, ein ziemlich neuer Unternehmenszweig, bei dem Start-ups personalisierte erotische Audios anbieten.

Das führende Unternehmen im deutschsprachigen Raum heisst Femtasy und richtet sich an jüngere Frauen. Auf der App oder über die Webseite kann man nach einer 14-tägigen kostenlosen Probephase ein Abo für monatlich rund 15 Franken kaufen. Vorgängig wird mithilfe eines Tests und unter Berücksichtigung der jeweiligen sexuellen Vorlieben das individuelle, auditive «Kopfkino» der Interessentin zusammengestellt.

Heute beschäftigt Femtasy 30 Mitarbeiterinnen und ist konstant auf Erfolgskurs.

Gestartet wurde das Audioportal vor vier Jahren von der damals 23-jährigen Co-Gründerin Nina Julie Lepique. Heute beschäftigt das Unternehmen 30 Mitarbeiterinnen und ist konstant auf Erfolgskurs, was zeigt, dass die Gründerin zu wissen scheint, was sich Frauen wünschen.

In einer Zeit, in der wir mit nackten Tatsachen auf allen Kanälen überflutet werden, ist es eigentlich überraschend, dass ein – wenn auch nicht ganz so traditionelles – Hörspiel als Lustmacher angeboten wird. Femtasy ist denn auch ziemlich einzigartig auf dem deutschen Markt. In einem Podcast von spiegel.de erzählt Lepique, dass sie am Anfang von Branchenskeptikerin belehrt worden sei, dass ihre Idee eine von jenen sei, die schnell wieder in der Versenkung verschwinden würden. Die junge Frau hatte zu diesem Zeitpunkt einen guten Job bei Xing gekündigt, weil sie von ihrer Idee überzeugt war: Dass Sexualität und Masturbation «grosse Themen» seien, habe sie in ihrem Freundeskreis gemerkt.

Die allererste Erotik-CD? Ein absoluter Lustkiller!

Ganz neu ist das Format der erotischen Audioformate allerdings nicht. Ich erinnere mich, dass es vor rund 20 Jahren CDs gab, die genau das gleiche Ziel hatten, nämlich mit erotischen Hörspielen die weibliche Lust zu wecken. Nach den ersten Staffeln von «Sex and the City» war es salonfähig geworden, nicht nur über die weibliche Lust zu reden, sondern auch Ratschläge zu geben, wie man diese «befeuern» könnte. Und unzählige Magazine von «Cosmopolitan» bis «Glamour» leisten diesbezüglich bis heute «Aufklärungsarbeit».

Nur 10 Prozent der Nutzer von Femtasy sind männlich, obwohl zahlreiche erotische Spielarten und -partner zur Auswahl stehen.

Nachdem Lepique eine Marktforschung in Auftrag gegeben hatte, um herauszufinden, ob ihre Idee auch in der Realität funktionieren würde, und nach diversen Recherchen, startete sie 2017 ihr Projekt. 2020 berichtete das Wirtschaftsportal businessindsider.de, dass verschiedene Investoren eine siebenstellige Summe in die Firma investiert hätten, darunter der Gründer der Hotel-Suchmaschine Trivago, Rolf Schrömgens. Dieses stark wachsende Segment, das in Fachkreisen «Sexual Wellness» genannt wird und zu welchem beispielsweise auch die Sex-Toy-Industrie gehört, soll laut dem Wirtschaftsportal «sehr vielversprechend» sein. Laut einer zitierten Studie soll dieser internationale Markt bis 2026 um jährlich knapp 8 Prozent auf über 45 Milliarden Dollar wachsen.

Warum gerade Frauen so stark auf diese Form der auditiven Stimulation ansprechen, könnte damit zusammenhängen, dass für sie die eigenen Vorstellungen und Fantasien wichtiger sein könnten als direkte visuelle Stimulation. Dies zeigt sich auch darin, dass nur 10 Prozent der Nutzer von Femtasy männlich sind, obwohl zahlreiche erotische Spielarten und -partner zur Auswahl stehen.

Der Selbsttest

Obwohl mit Femtasy ein jüngeres, weibliches Publikum angesprochen wird, wollte ich wissen, ob sich auch meine Ohren als Lustzentrum eignen. Zur Auswahl stehen Hunderte von verschiedenen Stories mit Titeln wie «Verbotene Reize», «Öffentlich» oder «Fremder». Danach konnte ich aussuchen, ob ich es sprachlich «sanft und sinnlich», «intensiv und derb» möchte oder ob ich «offen für alles» bin. Weiter konnte ich unter den verschiedensten sexuellen Spielarten wählen. Nach der Auswertung der Testergebnisse bekam ich individuelle Vorschläge präsentiert.

Um mein persönliches Erotikdrehbuch noch präzisier zu gestalten, konnte ich auch verschiedene Stimmfarben und Ausdrucksweisen der Protagonisten wählen: Zwischen erotischem Flüstern bis hin zu herrischen Kommandos wird so das gesamte Genre der erotischen Kommunikation abgedeckt. Damit man zu einem Teil der erotischen Storys wird, sprechen einen die professionellen Erzähler direkt an. Hätte ich früher das Genre «Autoritäten» gewählt, würde ich im Audio jetzt vielleicht die nähere Bekanntschaft mit einem strengen Personal Trainer oder einem bulligen Gefängniswärter machen.

Dass diese Form der gestylten und aalglatten Erotik funktioniert, beweisen auch die unglaublichen Erfolge der «Fifty Shades of Grey»-Reihe.

Vielleicht bin ich «old fashioned», doch bei mir wurde während des durchaus konzentrierten Zuhörens verschiedener Audios keinerlei erotischer Funken gezündet – dafür wurde mein Humor an mehreren Stellen wachgekitzelt. Zu klischiert waren die Handlungen, zu gestelzt die Ausdrucksweise der Sprecher und zu offensichtlich war die Handlung der einzelnen Folgen auf den «Ohrgasmus» hin konstruiert. Die einige Minuten dauernden Audios sind technisch perfekt inszeniert. Dass diese Form der gestylten und aalglatten Erotik funktioniert, beweisen auch die unglaublichen Erfolge der «Fifty Shades of Grey»-Reihe. Ich halte es in dieser Beziehung eher mit Chris von Rohr und seiner Forderung nach «meh Dräck».

 

Quelle: https://www.tagesanzeiger.ch/warum-frauen-auf-audioerotik-stehen-857515505623