Kirche und Sex

Ah, ein Profi! Danke, Amadeus, ich hatte schon darüber nachgedacht, ob ich noch etwas mit meiner theologischen Halbbildung hausieren gehen sollte, aber die Auskunft eines echten Experten ist da natürlich besser.

Übrigens bin ich nicht der Meinung, dass alle Pfarrer neurotische Kirchenheinis seien. Sonst würde ich ja nicht in der Kirche mitmachen. Aber diejenigen, die sich so verhalten, wie apron es kritisiert hat, sind schlimm genug, auch wenn’s zum Glück noch andere gibt.

Was Threads betrifft, die Dich interesieren könnten: gerade jetzt läuft ein interessanter über „Schlechtes Gewissen wegen Puffbesuch“. Oder schau doch mal in den „Auszeit“-Thread unter „Diverses“. Auch die Suchfunktion kann nützlich sein. Such doch mal nach „Studiopolitik“, „Fairness“ oder „Max Havelaar“.

Denn ich verrate Dir nun: das Bild vom primitiven Puffbesucher, der die Frauen nur als ein Stück Fleisch ansieht, gerade gut genug, seine Triebe zu befriedigen, entspricht nur zum Teil der Wahrheit. Du wirst im Sexy-Tipp nicht wenige Männer finden, die sich Gedanken über ihr Tun machen, denen am Herzen liegt, dass sie die Frauen, die sie besuchen, nicht ausnutzen, sondern ihnen mit Respekt begegnen.

Ach ja, @fuck: Wow, Du bist ja humanistisch gebildet! Mein Latein ist etwas eingerostet, aber ich glaube, ich habe Deine Zitate einigermassen verstanden. Mein Englisch ist, wie Du weisst, besser. Und mein Französisch auch (nein, nicht das, was Ihr jetzt meint).

Und zum Schluss noch dies:

@Forum Master, dieser Thread hat sich recht weit vom Thema Kinderpornographie wegbewegt. Wie wär’s, wenn Du alle Postings seit demjenigen von Webfly vom 29. Februar in einen neuen Thread „Kirche und Sex“ (oder so) verschieben würdest?

Charlie

Ist mir alles zu theoretisch,. Hier ein kleines „anonymisiertes“ Outing:

Ich hatte die Ehre in einem protestantischen Waisenhaus meine Pubertätsjahre verbringen zu müssen.

Meine ersten sexuelle Erfahrungen? Natürlich nicht mit einem, sondern mit zwei protestantischen Pfarrern. Gut, nur einer der beiden war verheiratet ! Immerhin. Und ich war ja schon fast 14 !

Bis ich den Mut fand aus der Kirche auszutreten hatte ich noch zwei Jahre Umweg bei den Zeugen Jehovahs hinter mich zu bringen. Wenn ich nicht glaube, könnte mich ja der Liebe Gott bestrafen und dieser ganze Sch…???

Und dann… sowas von sexuell verdreht und verkorkst!! Onanie greift das Rückgrat an, man verblödet daran etc. Wenn Orgasmen so schädlich sind, muss man sich da nicht auch vor jedem Geschlechtsverkehr hüten ?? Deswegen sagt ja der Papst man soll nur vögeln um Kinder zu kriegen !?? Da wie gesagt sonst die unmittelbare Verblödung droht !

Jetzt mit über 50: Habe mich von der Kirche seit etwa 15 Jahren wirklich gelöst. Habe mit etwa 35 die Frau kennengelernt, die mir beibrachte das Sex schön, intensiv und „geil“ ist. Durch intensives Studium der einschlägigen Fachliteratur bin ich relativ früh drauf gekommen, das wichsen durchaus etwas gutes ist! (Auch Pfarrern zu empfehlen, da sie dann leichter Ihre Finger von Knaben und Mädchen halten können). Und ich trauere noch etwas den zwanzig sexuell verlorenen Jahren nach.

Das einzig Positive ist: „Die christliche Moral“. (Kein Scheiss, ehrlich) Diese wichtigen Dogmen können aber bedeutend besser von weltlichen und aufgeklärten Ethikern verbreitet werden. Und viele von Euch müssen zugeben, dass es diese Position zumindest auf unseren Wirtschafts-Hochschulen geben sollte. Unsere bibelfesten amerikanischen Freunde haben dieses Element allzu lange mit Füssen getreten !!

Langer Rede kurzer Sinn und bevor das hier von spontaner Entrüstung zum Roman wird (und das durchaus auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen): Weg mit diesem „Teufelszeug“, dieser Jugendverderbung, dieser Freude Vernichtung, diese widerliche Machtorganisation:
Religionen (und nicht nur die christlichen), die Organisation Kirche, Päpste und Pfaffen, verbogene Weltverbesserer etc.

Amadeus: Ich respektiere Dich durchaus. Als bekennender Soziologe ohne das verlogene christliche Mäntelchen würdest Du mir aber bedeutend glaubwürdiger erscheinen !

Und bitte, versucht nicht mich zu bekehren. Ich habe 20 Jahre gebraucht um mich selber zu bekehren und mich auf meinen heutigen (für mich richtigen) Pfad zu bringen !

Unglaublich was ich jetzt sage? Es lebe die Toleranz ! Gegenüber allen und jedem (sonst mache ich mich ja selber zum Priester meiner Sache). Und doch gibt es eine Ausnahme: Uur „Hölle“ mit allen Pädophilen !

Oh, hier ist die Diskussion gelandet.

Fuck (welch ein Pseudonym…), Du hast natürlich recht, wenn Du die Doppelmoral anprangerst. Ich kann nichts tun als Dir sagen, dass ich versuche, nichts anderes zu leben, als ich predige, und nichts anderes zu predigen, als ich lebe.

Welcher Kirche ich angehöre (dies auch an Pamlover) tut nichts zur Sache. Ich sehe mich als Vertreter einer Theologie, die versucht, mehrere Dimensionen zugleich ernst zu nehmen: das, was wir Theologen Wort Gottes nennen, aber auch heutige wissenschaftliche Erkennsnisse, gesellschaftliche Entwicklungen, usw. Diese Art von Theologie überschreitet konfessionelle Grenzen.

Aber ich muss Dir widersprechen, Pamlover. Die Sichtweise, dass die Sexualität etwas Schmutziges ist, ist nicht christlich, sondern gnostisch. Sie hat in den christlichen Glauben auf diesem Weg Eingang gefunden, gehört dort aber, wenigstens nach meiner Überzeugung, nicht hin.

Die Kirche hat sich in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft gewandelt. Die frühe Kirche war in vielerlei Hinsicht fortschrittlicher, aufgeklärter als die Gesellschaft. Klassisches Beispiel ist der Umgang mit der Sklaverei: sie wurde zwar nicht abgeschafft, hat aber in der Urkirche keine Standesunterschiede mehr begründet. Leider wurde diese Tugend nicht bewahrt.

Heute ist es so, dass die Kirche oft hinterherhinkt: erst, wenn ein Thema in der Gesellschaft überreif ist, beginnt auch die Kirche, es zur Kenntnis zu nehmen (Stichwort Stellung der Frau).

Natürlich muss sich die Kirche - auch, aber nicht nur die reformierte - Gedanken über sexuelle Belästigung machen. Jeder verantwortungsbewusste Arbeitgeber muss das. Und warum sollte die Kirche das nicht in Reglementen festhalten?

Und zum Schluss, Pamlover, möchte ich Dir sagen, dass Du einen grundlegenden Irrtum begehst: Du hängst einem Klischee von Kirche an und beurteilst mich und andere als nicht authentisch, da von diesem Klischee abweichend. Ich bin Theologe, und ich bilde mir ein, kein allzu schlechter. Ich habe mich mit der Frage beschäftigt, was Erbsünde, Eschatologie u.a.m. in heutiger Theologie bedeuten könnten. Es ist nicht inhaltsleer. Ich sehe die Dinge einfach nicht mehr gleich wie Augustinus und seine Zeitgenossen.

Charlie: danke, dass Du mich nicht mit „neurotischen Kirchenheinis“ in einen Topf wirfst. Dass es solche gibt, ist unbestritten. The Wise Guy gibt uns ja ein betrübliches Beispiel aus eigener Erfahrung.

Danke auch für die Threadhinweise. Tatsächlich habe ich natürlich ein gewisses Bild (oder nenn es meinetwegen Vorurteil) von Männern, die ins Puff gehen. Ich bin aber stets bemüht, Vorurteile abzubauen (fremde und eigene). Ich bin mir auch bewusst, oder ich werde mir langsam bewusst, dass vieles, was ich und andere an der Prostitution negativ sehen, gar nicht den „Kern“ der Prostitution (also Sex gegen Geld) betrifft, sondern das „Umfeld“ (also Ausnutzen der Frauen, von Respektlosigkeit geprägtes Frauenbild, und so weiter). Dein Stichwort „Fairness“ scheint anzudeuten, dass es auch faire Prostitution ohne dieses negative Umfeld gibt oder geben kann.

The Wise Guy, danke für Deine offenen Worte. Ich werde Dich ganz gewiss nicht zu missionieren versuchen. Ich verstehe mich in diesem Forum nicht als Missionar, auch nicht als Seelsoger (obwohl ich hier wie anderswo ein offenes Ohr habe, wenn jemand ein offenes Ohr braucht). Ich verstehe mich vielmehr als Theologe, der an einer Diskussion interessiert ist, etwas über Sexualität lernen will, und vielleicht zeigen kann, dass Theologie und Kirche facettenreicher ist, als manche es sich träumen lassen.

Du missverstehst mich, wenn Du denkst, der Glaube sei für mich ein Mäntelchen, das ich um eine soziologische Grundhaltung wickle. Es ist vielmehr umgekehrt: meine psychologischen, soziologischen, etc. Überzeugungen entspringen diesem Glauben. Zum Beispiel dem Glauben, dass der Mensch - dass Du - dass die Prostituierte, die Du besuchst - ein Abbild Gottes ist und als solches Respekt, ja Ehrfurcht verdient. Dass Du diese meine Überzeugung als „verlogenes christliches Mäntelchen“ bezeichnest, schmerzt mich zwar, ich kann es Dir aber angesichts Deiner Erfahrungen, die Du mit dem christlichen Glauben gemacht hast, nicht verdenken.

Wie dem auch sei: ich merke, dass ich auch hier Projektionsfigur bin.

Pax vobiscum,
Amadeus

@Amadeus: Leider fehlt mir die Zeit im Moment für ein tiefschürfendes Mitdiskutieren bei diesem Thema. Ich möchte Dir einfach (aus meiner persönlichen Sicht) sagen, dass ich mich freue, dass Du hier in diesem Thread einige gute Aspekte in die laufenden Diskussionen einbringst. Welcome to the Club! Ich habe auch nicht vergessen, dass Jesus offenbar ein sehr offenes Verhältnis zu Maria Magdalena hatte. Das Stichwort „Faire Prostitution“ finde ich sehr interessant und freue mich über weitere Postings zu diesem und anderen Themen aus Deiner Feder! Das Thema sollte auch nicht heissen „Kirche & Sex“ sondern „Kirche & Prostitution“. Mit Gruss-von-Oldboy-der-sich-auch-interessiert-&-weiterbildet …
P.S. Als „unfair“ (-> unchristlich, unethisch) würde ich einmal alle Vermieter bezeichnen, die zum Beispiel für exhorbitante Mieten alte Abbruchbuden vermieten und sich so ihren Teil des Kuchens nehmen. Aber eben - wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein …

@Amadeus

Ich hänge keinem Klischee von Kirche an. Leider ist aber die Kirche, vor allem die reformierte Kirche, zu einem Klischee dieser Gesellsschaft geworden. Wenn ich nicht von Dir selbst wüsste, dass Du Theologe bist, hätte ich Dich genauso gut für einen Soziologen („gesellschaftlicher Fortschritt“), Psychologen („Projektionsfigur“), Sozialdemokraten („verantwortungsbewusster Arbeitgeber“) oder Mitglied einer feministischen Männergruppe („Stellung der Frau“) halten können.

Die von Kirchenvertretern wie Dir vertretene Sexualmoral entspricht kritiklos der in der Gesellschaft vorherrschenden und immmer mehr auch rechtlich sanktionierten Moral („sexuelle Integrität“, Schutz vor " sexueller Belästigung", „Frauenrechte“ usw.).

Diese Sexualmoral schafft wie jede herrschende Moral Gewinner und Verlierer. Also die Guten, die Ihre sexuellen Interessen in dieser Moral realisieren können und die Bösen, die dieselben Erfolge nur gegen diese Moral durchsetzen können.

Indem die Kirche nun mehrheitlich die herrschende Sexualmoral anerkennt, ergreift sie Partei für die Sieger. Denn Du wirst zwischen schmutzigem und sauberem Sex unterscheiden, je nachdem dieser gegen oder innerhalb dieser herrschenden Moral steht. Ich dagegen spreche die Sieger nicht frei, sowie es das Christentum auch nicht tut, sondern betone die alle Menschen umfassende und uanauflösliche Verstrickung in der Schuld (jeder Sex ist „schmutzig“).

Deine Behauptung, was echtes Christentum sei und was nicht, ist weniger begründet, als Du den Anschein gibst. Geschichtlich betrachtet könnte man tatsächlich sogar von einem weitgehenden Einfluss auf oder sogar einer „Vormundschft“ griechischer Metaphysik (Platonismus, Idealismus) über das Christentum sprechen, auch wenn die Ethik der Spätstoiker monistisch-optimistisch ist. Darauf kommt es aber nicht an. Das Christentum ist in seimem tiefsten Wesen dualistisch-pessimistisch. Das Grundprinzip der Ethik ist hier „das Anderssein als die Welt im Sinne der ausser- und überweltlichen Gottespersönlichkeit“ (A. Schweitzer, Kulturphilosophie 2. Teil „Kultur und Ethik“ ).

Pamlover,
non multa sed multum

@amadeus: nomen est omen, it’s so simple.
du heisst „amadeus“, ich „fuck“ smile

hab einen schönen sonntag …
(ach tschuldigung, für pfaffen und coiffeure ist der montag ja der ruhetag)

@Amadeus

Schön dich hier zu haben. Du bist der lebende Beweis, dass jeder unter Theologie das verstehen kann, was ihm in sein Weltbild passt und erst noch seinen Seelenfrieden dabei finden mag.

Deine Theologie „überschreitet die Grenzen der Konfessionen“. Schön für dein persönliches Verständnis. Du zeichnest dich damit als echter Liberaler aus.

„Die Prostituierte als Abbild Gottes“: wie schön, ermöglicht es uns diese heere Vorstellung doch zumindest für einen Augenblick mit Gott vereint zu sein! In dem Sinne könntest du dich ja auch Amapuerpera nennen hier in diesem Forum.

Gruss Rider