quote:Brooklin, 20 - Es ist Samstagnachmittag. Sie will neue Klunker und braucht eine Handtasche. Anschliessend hat sie einen Termin beim Coiffeur. Zurzeit mag Brooklin Pullover mit engem Strickbund und weitem Ausschnitt, den sie über die zarten Schultern fallen lässt. Die Jeans stecken in braunen Wildlederstiefeln, an Arm und Fingern funkeln Steine, am Hals Gold. An Brooklin ist alles echt und selbst verdient: die Brillanten, die Gucci-Handtasche, die Victoria-Beckham-Jeans. Wenn Sie hundert Meter zurücklegen muss, bestellt sie den hauseigenen Limousinenservice.
Brooklins Körperbau ist fragil, die Hüften sind schmal, die Oberweite unspektakulär. Hochmut umgibt sie, eine unwiderstehliche Aura aus Gleichgültigkeit und lolitahafter Sexiness. Sie sieht aus wie 16. Seidig umwehen blonde, lange Haare ein kindliches Gesicht. Aber die pechschwarzen Augen mustern unverfroren jedes Gegenüber.
«Seit zwei Monaten arbeite ich als Top-Callgirl. Eines Tages, als ich wieder mal blank war, surfte ich im Internet und stiess auf die Homepage der Agentur. Mir gefiel das Bild, auf dem eine schöne Frau, umringt von vielen Männern, in einem teuren Auto sitzt und Champagner trinkt. Am nächsten Tag bewarb ich mich, sie erkannten mein Potenzial und teilten mich in der exklusiven Agentur ein. Ich sehe mich nicht als Prostituierte. Als Privatperson hatte ich unzählige One-Night-Stands mit Typen, die mir nicht immer supergut gefielen. Heute arbeite ich fulltime als Escort, aber mein Arbeitsaufwand hält sich in Grenzen: In einem faulen Monat verdiene ich 20000 Franken. Ich erkenne innerhalb von zwei Minuten, wie ein Mann sexuell tickt, und unterscheide dabei zwischen zwei Kategorien: dominant oder submissiv. Die Submissiven sind herzlich und liebenswürdig, die Dominanten ignorieren dich ein bisschen und sind wortkarg. Im Bett will jeder verführt werden. Das Erfolgsgeheimnis ist ganz einfach: Die Klienten suchen das Gegenteil von dem, was sie zu Hause haben. Und generell gilt: Männer mögen Frauen, die nicht wahnsinnig viel reden, ihnen auf keinen Fall die Welt erklären wollen und fähig sind, einen guten Blowjob zu machen.»
Wie war der erste Kunde?
«Es waren zwei. Das Badezimmer des Hotelzimmers war hundert Quadratmeter gross, wir tranken Roederer Cristal, vom Schlafzimmer aus sah man über die ganze Stadt. Der erste Job war total gut. Heute verabrede ich mich pro Tag mit einem, manchmal mit zwei Gästen. Sie buchen mich oft für eine ganze Nacht. Ich trete auch als offizielle Begleitung auf, bin zu den exklusivsten Events eingeladen und mache Luxusreisen. Ich kenne das Milieu, aus dem die gehobene Klientel kommt, ihre Verhaltenskodexe, ihr Stilgefühl und die Wertvorstellungen. Ich wuchs selbst in wohlhabenden Verhältnissen auf und lebte zehn Jahre lang in Südafrika. Mit 14 musste ich zu meinem leiblichen Vater in die Schweiz zurück. Fortan wurde jede Hunderternote zweimal umgedreht. Ich empfand das als demütigend und vor allem als extrem freudlos. Ein paar Fränkli Lohn und am Abend todmüde, das konnte es definitiv nicht sein. In der gehobenen Prostitution hat der Vamp ebenso ausgedient wie der Pamela-Anderson-Typ. Ich bin nicht nur schön, sondern habe auch eine spezielle Aura, das höre ich von jedem. Den Herren trete ich – in bekleidetem Zustand – als wohlerzogenes Fräulein gegenüber, das nicht auf den Kopf gefallen ist. Ein bisschen antrainierte Schüchternheit kann nicht schaden. Das ist der Kick: Die begehrtesten Rennpferde im Stall sehen so unschuldig aus wie Mona Lisa und sind im Bett versierte und willige Gespielinnen.»
Brooklin pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht: Irgendwann wolle sie heiraten, bloss Hausfrau und Mutter sein. Sie lebt seit Jahren in einer festen Beziehung. «Mein Freund meint, ich arbeite in einer Bar, das erklärt die nächtlichen Absenzen.» Ist ihr diese Liebe etwas wert? «Sogar sehr viel», sagt Brooklin und dreht am Einkaräter an ihrem Ringfinger. Ein Geschenk? «Ja», lächelt sie, «aber nicht von meinem Freund. Der meint, wie alle andern, der Schmuck sei unecht.
Die Chinesen wollen es immer französisch, die Südländer sind auf den Hintern fixiert, die Amerikaner auf die Brüste. Der Schweizer legt sich hin und lässt sich bedienen. Die Deutschen sind die Mühsamsten, weil sie immer zu viel für ihr Geld wollen. Hindus sind besonders experimentierfreudig, Muslime ein wenig einfallslos: Die würden sich auch nie auf orale Aktionen einlassen, weil das im Islam offenbar eine Degradierung der Frau bedeutet. Zu welchen sexuellen Extras es kommt, bestimme ich, und es bringt zusätzlich Geld in die Kasse. Derzeit ist Natursekt en vogue. Die brillantbesetzte Uhr leistete ich mir nach meinem bisher einzigen mühsamen Date. Der Kunde erzählte sechs Stunden lang von seinen Problemen: Frau, Kinder, Arbeit. Tödlich. Sex ist viel einfacher. Am teuersten sind individuelle Perversionen: Vor kurzem wollte ein Kunde, dass ich Brustattrappen aus Gummi trage und er mir die Bluse aufreissen darf. Wenn es ihm Spass macht – es kostete einen Tausender extra.
Ob ich mich in den vergangenen Jahren verändert habe? Nur zum Guten. Früher war es mühsam. Ich wurde andauernd angemacht, auf der Strasse, im Zug, in Restaurants. Wahrscheinlich signalisierte ich sexuelle Bereitschaft, Männer haben dafür einen siebten Sinn. Seit ich als Escort arbeite und voll auf meine Rechnung komme, reduzieren sich die unverschämten Angebote gegen null.»
Brooklin muss gehen. Der Coiffeurtermin. Sie streckt sich lasziv wie eine Katze, die gerade aus dem Dämmerschlaf erwacht ist, schnappt das Handy und bestellt in zackigem Tonfall die Limousine.<!-/quote-!>