Sie wohnen derzeit an einem geheimen Ort. Dieter Kosslick hat Ihnen den berühmtesten Medienanwalt des Landes besorgt. Das klingt selbst schon fast wie ein Film.
Ich möchte nicht fotografiert werden, wenn ich aus der Wohnung gehe und den Müll rausbringe. Ich will auch nicht, daß meine Nachbarn da mit hineingezogen werden, deshalb bin ich erst mal woanders untergebracht.
Wird Ihre Wohnung von Reportern belagert?
Es steht sogar ein Ü-Wagen vor meiner Tür.
„Gegen die Wand“ ist Ihr erster Kinofilm. Kameraerfahrung hatten Sie bereits: Sie haben in mehreren Hardcore-Pornofilmen mitgespielt. Hatten Sie denn nicht damit gerechnet, daß Ihre Vergangenheit bekanntwerden würde?
Natürlich habe ich damit gerechnet, aber daß „Bild“ so eine große Sache draus macht, daß sie es auf die Titelseite nehmen, so riesig, so schmutzig, das hätte ich nicht gedacht.
Warum haben Sie Pornofilme gedreht?
Aus Geldmangel. Ich hatte immer mehrere Jobs - ich habe zum Beispiel Obst und Gemüse verkauft, gekellnert, als Türsteherin gearbeitet, ich war sogar mal für einen Monat Geschäftsführerin eines Nachtclubs - es war wirklich so, wie es immer heißt: ich war jung und brauchte Geld. Und daß ich diese Filme gemacht habe, das war vielleicht auch eine Art Rebellion.
Eine Rebellion gegen was?
Ich wollte mir damit vielleicht selber beweisen, daß ich mein eigenes Leben leben kann, wie ich will.
Für Eltern ist es wohl immer ein Schock zu erfahren, daß die eigene Tochter Pornos dreht - für türkische Eltern um so mehr.
Klar. Ich kann nur für mich sprechen: Ich habe einen ziemlich starken Freiheitsdrang, und je mehr man versucht, mir etwas zu verbieten, desto mehr rebelliere ich.
Ihre Eltern sind in den siebziger Jahren aus der Türkei nach Heilbronn gezogen. Wenn es nach ihnen gegangen wäre - wo wären Sie heute?
Erst einmal möchte ich sagen, daß meine Eltern ziemlich modern und offen sind. Aber insgesamt wären sie wahrscheinlich ganz froh, wenn ich weiterhin im Heilbronner Rathaus als Verwaltungsfachangestellte arbeiten würde, vielleicht verheiratet mit einem türkischen Mann.
Die „Bild“-Zeitung hat Ihren Vater befragt - es sei eine Schmach für die Familie, und er wolle Sie nie wieder sehen, sagte er. Hat er erst jetzt erfahren, daß Sie in Pornofilmen gespielt haben?
Ich habe es ihm vorher nicht gesagt.
Es war zu lesen, daß Ihre Familie Sie nun verstoßen hat.
Ich kann meine Eltern verstehen. Es tut mir unendlich leid, daß sie es so erfahren haben, aber ich werde mich für meine Vergangenheit, für mein Leben bei niemandem entschuldigen. Ich habe niemandem weh getan, ich habe nichts Illegales getan, ich habe keinem Menschen geschadet - außer mir selber, wenn überhaupt. Meine Eltern schämen sich jetzt wahrscheinlich für mich. Sie denken wahrscheinlich, die Leute zeigen mit den Fingern auf sie und sie können niemandem mehr in die Augen gucken. Das tut mir wirklich leid, aber es ist nun mal passiert, und ich kann und ich möchte es nicht ändern. Und ich bin darüber auch niemandem eine Rechenschaft schuldig. Jeder Mensch hat eine Vergangenheit, ich bin 23, meine Vergangenheit war vielleicht etwas heftiger, aber so ist das nun mal, und ich kann es auch nicht auslöschen, es gehört zu mir.
Haben Sie Kontakt zu Ihren Eltern?
Nein.
Hatten Sie vor der „Bild“-Zeitungskampagne Kontakt?
Natürlich. Meine Eltern wußten auch, daß ich in „Gegen die Wand“ spiele. Wie gesagt, sie sind ziemlich offen, aber die Sache mit den Pornos war zu hart für sie.
Auf der Berlinale wurden Sie als Schauspieldebütantin gefeiert. Die Boulevardpresse scheint sich da von Ihnen getäuscht zu fühlen.
Aber es stimmt: „Gegen die Wand“ ist mein Schauspieldebüt! Was hat denn Pornographie mit Schauspielerei zu tun? Was hat, Entschuldigung, Ficken mit einer Charakterrolle zu tun? Hätte ich mich bei der Berlinale hinstellen sollen und ungefragt sagen, Leute, ich weiß ja nicht, wen es interessiert, aber ich habe mal Pornos gedreht?
Regisseur und Produzenten wußten davon?
Natürlich. Ich habe ihnen gleich gesagt, hört mal, so sah mein Leben bisher aus. Einfach, um fair gegenüber den Menschen zu sein, mit denen ich arbeite. Aber ich bin nicht dazu gezwungen, das öffentlich zu machen. Es ist meine Vergangenheit. Und es ist: Vergangenheit.
Gab es Überlegungen mit den Produzenten, wie man mit dem Thema umgeht, ob man damit vielleicht offensiv an die Öffentlichkeit geht?
Die Produzenten von Wüste Film, der Regisseur Fatih Akin und ich haben beschlossen, meine Geschichte nicht nach außen zu tragen.
„Gegen die Wand“ erzählt die Geschichte von Sibel, einer jungen Türkin in Hamburg, die zum Schein einen Türken heiratet, um ihre Familie zufriedenzustellen und dann heimlich zu tun und zu lassen, was sie will. Ist so etwas denkbar?
Natürlich gibt es das, und ich kann gut verstehen, daß manche Mädchen einen Weg wählen, der nicht ganz so hart ist, daß sie sagen, ich mache was ich will, aber eben heimlich. Für mich käme es nicht in Frage, einen Menschen zu heiraten, den ich nicht liebe.
Um auch das vielleicht gleich zu klären: Was hat es mit der neuesten Enthüllung der „Bild“-Zeitung auf sich, Sie verschweigen, daß Sie verheiratet sind?
Das stimmt nicht, aber ich wollte vor fünf Jahren meinen damaligen deutschen Freund heiraten. Das Aufgebot stand, wir hatten sogar ein großes Fest. Die Trauung verzögerte sich aber, weil es Schwierigkeiten mit meinen Papieren aus der Türkei gab, und schließlich heirateten wir nicht.
Jeden Tag wird etwas Neues über Sie ausgegraben, vielleicht einfach mal der Reihe nach: Sie sind 1980 in Heilbronn geboren. Was machen Ihre Eltern?
Mein Vater ist Arbeiter, meine Mutter Putzfrau.
Sie haben in Heilbronn die Schule besucht, was für einen Abschluß haben Sie?
Mittlere Reife.
Danach haben Sie im Rathaus gearbeitet.
Als Verwaltungsfachangestellte
Zuständig für den Müll.
Das stimmt.
Und irgendwie dachten Sie, das kann es doch nicht sein, ich kann doch nicht mein Leben lang in Heilbronn versauern?
Ja, ich wollte da nicht kleben bleiben, es war mir irgendwie zu spießig, zu klein. Nach zwei Jahren habe ich meinen Job gekündigt und bin nach Essen gezogen. Und eines Tages wurde ich zufällig beim Einkaufen angesprochen, ob ich vorsprechen würde für die Hauptrolle im neuen Film von Fatih Akin.
Jetzt überspringen wir aber die Pornofilme. Die hatten Sie da schon gedreht?
Die habe ich während meiner Zeit am Rathaus gedreht. Als ich für „Gegen die Wand“ angesprochen wurde, war das mit den Pornodrehs aber schon vorbei.
Und Sie sind zufällig angesprochen worden, auf der Straße, einfach so?
Ich war in Köln beim Einkaufen, und eine Frau sprach mich an, daß sie für die Hauptrolle im neuen Film von Fatih Akin eine junge Türkin suchen würden. Die haben in ganz Deutschland gecastet. Ich hatte noch nie von Fatih Akin gehört.
Aber da war sie endlich, die Chance auf ein anderes, ein schöneres Leben?
In „Gegen die Wand“ gibt es einen Satz, der stimmt für mich total: „Wenn Sie Ihr Leben beenden wollen, dann beenden Sie doch Ihr Leben, aber dafür müssen Sie doch nicht sterben.“ Ich habe meine Vergangenheit beendet, ohne daß ich mich umgebracht habe. Ich habe ein anderes Leben angefangen.
Als Sie das Drehbuch zu „Gegen die Wand“ gelesen haben, haben Sie sich darin wiedererkannt?
Natürlich. Es geht um den Konflikt zwischen der zweiten und dritten Generation von Türken in Deutschland, zwischen Eltern und ihren Töchtern. Die Familie des Mädchens ist nicht radikal muslimisch eingestellt - es darf Make-up tragen, ohne Kopftuch herumlaufen, es hat sogar einen Beruf erlernen dürfen -, aber das reicht dem Mädchen nicht. Sie sieht ja, wie die deutschen Mädchen leben, und das will sie auch. Es geht um Freiheit. Und darum, daß es dann doch nicht alles ist, wenn man sich diese Freiheit erkämpft hat.
Sie sind hier geboren und aufgewachsen, als was fühlen Sie sich?
Ich weiß es selber nicht. Dem Paß nach bin ich deutsch. Ich habe, wie ja jetzt jeder weiß, bisher ein durch und durch deutsches Leben geführt. Ich fühle mich schon als Deutsche - aber mit türkischen Wurzeln.
Am Donnerstag hatte die „Bild“-Zeitung junge Türkinnen nach ihrer Meinung zum „Fall Kekilli“ befragt.
Ich fand es klasse, daß einige Türkinnen sich da offenbar trauten, zu mir zu halten. Daß die sagen, dann hat sie das halt gemacht, ist doch ihre Sache, ist sie dadurch ein schlechterer Mensch? Vielleicht kann ich für manche Türkinnen eine Art Vorbild sein. Nicht, daß sie mir das nachmachen sollten, das wirklich nicht, aber daß sie vielleicht sehen, da lebt eine Türkin ihr eigenes Leben.
In Ihrem zweiten Film, den Sie gerade in Hamburg drehen, „Kebab Connection“, spielen Sie eine Italienerin.
Es ist eine kleine Rolle, aber es hat mich gefreut, daß es keine Türkin ist. Türken müssen in Deutschland immer Türken spielen, und dann ist es immer dasselbe Klischee, immer dasselbe Thema. Natürlich, wenn das so schöne Bücher sind wie „Gegen die Wand“, würde ich liebend gerne wieder eine Türkin spielen. Aber ich möchte nicht als die Türkin bekannt sein, sondern einfach als Schauspielerin. Auch nicht als Ex-Pornodarstellerin. Schauspielerin. Das ist die Gegenwart.
Es fällt auf, daß Ihre Nase heute ein wenig stupsiger ist als noch in „Gegen die Wand“. Haben Sie sie operiert, um weniger türkisch auszusehen?
Nee, überhaupt nicht. Ich hatte seit meinem 17. Lebensjahr Komplexe wegen meiner Nase, ich fand sie zu lang irgendwie, und ich habe mir seitdem gesagt, wenn ich es mir einmal leisten kann, werde ich sie operieren lassen. Das war mein Traum. Ich muß aber sagen, ich hätte mir die Nase nicht vor dem Film operieren lassen. Die alte Nase gehört noch in diesen Film rein. Aber danach hat für mich ein neues Leben angefangen.
Und das alte holt Sie gerade mit ziemlicher Wucht ein.
Natürlich ist es jetzt für die „Bild“-Zeitung interessant, was ich alles schon gemacht habe, aber diese Aufregung? „Filmdiva“ haben sie mich genannt! „Filmdiva“ und „Pornostar“. Hallo? Ich war eine kleine Pornodarstellerin und mehr nicht. Und als das mit der deutschen Filmdiva irgendwie nicht gezogen hat, anscheinend, da sind sie dann plötzlich die türkische Schiene gefahren, dann hieß es plötzlich: die junge Türkin.
Was ist schlimmer: Daß sich jetzt Bekannte aus Ihrer Vergangenheit zu Wort melden und alle etwas über Sie zu sagen haben - oder daß Ihre Familie da mit hineingezogen wird?
Ich finde alles schlimm. Da melden sich jetzt irgendwelche Leute und behaupten, ich sei „naturgeil“ gewesen oder hätte damals schon Starqualitäten gehabt und jeder hätte gewußt, daß ich mal berühmt werden würde. So ein Quatsch! Die kannten mich doch alle kaum. Und natürlich finde ich es auch schlimm, daß sie an meine Eltern herangetreten sind. Aber daß meine Eltern dazu dann auch etwas gesagt haben, finde ich schade.
Wahrscheinlich waren Sie mit der Situation überfordert.
Ich mache ihnen keinen Vorwurf, die stellen das sicher sehr geschickt an, diese „Bild“-Reporter. Jetzt melden sich sogar Leute, die doch eigentlich wissen müßten, daß man sich dazu nicht äußert - ehemalige Lehrer, Amtsleiter. Plötzlich wollen alle immer schon gewußt haben, daß ich es sowieso nicht lange aushalte in der Müllabteilung, weil ich ja immer Star sein wollte oder so. Oder meine Schwester. Ich nehme es ihr zwar nicht übel, wirklich nicht, aber daß auch sie sich öffentlich äußern mußte, das finde ich eigentlich traurig. Aber die Methoden sind halt ziemlich gerissen. Die „Bild“-Zeitung sagt mir zum Beispiel: Wir wollen jetzt an deine Eltern ran. Aber wir können sie in Ruhe lassen, wenn du uns ein Interview gibst. Ich laß mich ganz bestimmt von denen nicht erpressen.
Was sagen Sie denn dazu, daß Uschi Glas Ihnen öffentlich beisteht?
Ganz ehrlich, ich möchte mich bei allen bedanken, die mir beigestanden sind, auch bei Uschi Glas. Ich habe noch nie so einen Rückhalt erlebt in meinem Leben, noch nie.
Glauben Sie, der ganze Rummel um Ihre Person hat eine Auswirkung auf den Film, der am 11. März ins Kino kommt?