Was ich an dieser hochinteressanten Diskussion schade finde, sind die häufigen Unterstellungen. Das älteste Gewerbe der Welt ist ein vielschichtiges und facettenreiches Gewerbe, da kann es doch durchaus sein, dass unterschiedliche Menschen ganz unterschiedliche Erfahrungen machen, ohne dass einer von beiden sich unbedingt Naivität vorwerfen lassen müsste.
Mich stört auch das Bild der Prostituierten als emotional abgebrühte, souverän über der Sache stehende Geschäftsfrau. Gewiss, solche gibt es. Gewiss, vieles ist Theater, für das der Kunde ja auch bezahlt. Es wäre aber falsch zu meinen, das Geschäft würde von allen Frauen einfach emotional abperlen, weil es eben nur ein Geschäft ist.
Es gibt in diesem Gewerbe auch Frauen, denen ihr Beruf emotional sehr nahe geht. Frauen, die aufgestellt und selbstbewusst auftreten, aber zugleich Angst haben, von Selbstzweifeln gequält werden, ob das, was sie tun, auch das richtige ist; Frauen, denen es zu schaffen macht, dass sie aus Sicht ihrer Kunden „austauschbar“ sind; Frauen, die einen Kunden gern privat kennen gelernt hätten, aber enttäuscht sind, dass er „nur“ ein Kunde ist; Frauen, die daunter leiden, dass sie ein Doppelleben führen müssen.
Versteht mich nicht falsch: ich schreibe dies nicht, um Mitleid zu erregen (alle Bemerkungen à la „mir kommen gleich die Tränen“ also bitte stecken lassen, danke). Ich schreibe dies, weil ich denke, dass einem eine wichtige Facette der Wirklichkeit entgeht, wenn man Prostituierte auf ihren Geschäftssinn reduziert.
Und ich bin auch nicht naiv. Ich habe meine Eindrücke in Begegnungen gewonnen, die nicht im Rahmen eines Kunde-Dienstleisterin-Verhältnisses stattfanden. Theatervorstellungen können mit genügender Gewissheit ausgeschlossen werden. Zugegeben, auch meine Perspektive ist eingeschränkt. Ich werde mich daher hüten, meine Erfahrungen als absolut anzusehen. Aber sie bilden eine Facette, die eben auch ein Stück Realität ist.
Ganz abgesehen davon hat auch die Sache mit der Kundenbindung eine emotionale Dimension, und zwar nicht nur für den Kunden, sondern auch für die Frau. Sie kann ganz unterschiedliche Motive haben, warum sie einen Kunden an sich binden will. Auf der Hand liegt das geschäftliche Interesse: es ist ein lukrativer Kunde, der viel Geld bringt, wenn sie ihn an sich binden und zum Stammkunden gewinnen kann, verdient sie mehr.
Es gibt aber auch das emotionale Interesse: es ist ein besonders sympathischer Kunde, bei dem die Arbeit mehr Zufriedenheit bringt. Wenn sie ihn an sich bindet und zum Stammkunden gewinnt, wird sie zwar nicht unbedingt mehr verdienen. Aber sie wird in der Zeit, da sie ihn bedient, keinen anderen, weniger sympathischen Kunden bedienen müssen, über den sie sich ärgern müsste. Keine Steigerung der Einkünfte zwar, aber eine Steigerung der Arbeitszufriedenheit.
Ich bin sicher, es gibt noch weitere Facetten. Dieses Forum kann dazu dienen, den eigenen Horizont zu erweitern, nicht nur, was Angebote und Servicequalität angeht, sondern auch, was die menschlich-allzumenschliche Seite angeht. Es ist in meinen Augen nicht zielführend, einen anderen als naiv zu belächeln, nur weil er eine Facette beleuchtet, die einem selbst fremd ist.
Einen wachen Blick wünscht Euch
Manuel