Ich möchte noch einmal auf den Aspekt der Sucht zurückkommen, den ich in meinem ersten Posting angesprochen habe. Suchtverhalten ist sicher nur eine mögliche Konsequenz, die der Gang ins Rotlichtmilieu mit sich bringen kann. Es ist einfach ein Aspekt welcher mich besonders interessiert, hauptsächlich weil ich mich aus verschiedenen Gründen in meinem Leben intensiv mit Sucht und ihren Konsequenzen auseinandergesetzt habe.
Ich denke, Sucht kann viele Gesichter haben. Sucht bedeutet nicht immer, dass man vollständig die Kontrolle über sein Tun verliert wie das in anderen Beiträgen zum Teil beschrieben wurde. Das ist nur die Spitze des Eisbergs; das, was dann auch publik wird und zum Teil untersucht wird. Das habe ich jedoch in meinem Beitrag nicht gemeint. Suchtverhalten kann auch viel mildere Formen annehmen. Ich behaupte jetzt mal, dass diese milden Formen von Suchtverhalten viel häufiger anzutreffen sind als der totale Verlust der Selbstkontrolle. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass psychisch gesunde Menschen die in geordneten Verhältnissen leben, einfach so abstürzen und die Kontrolle über ihr Verhalten verlieren. Deshalb habe ich diese Befürchtung auch bei mir nicht. Das heisst jedoch nicht, dass man nicht trotzdem einem Suchtverhalten frönt! Ich glaube auch, dass sich viele Menschen gar nicht bewusst sind, dass möglcherweise gewisse Verhaltensweisen von ihnen Suchtcharakter haben. Mit Sucht assoziieren die meisten Leute Junkies wie Pete Doherty und sind sich nicht bewusst, dass das nur ein möglicher (krasser) Aspekt von Suchtverhalten ist.
Um das zu verstehen, muss man sich zuerst mal damit auseinandersetzten, was Sucht überhaupt heisst und wie Suchtverhalten im Zusammenhang mit einer gewissen Tätigkeit oder einem gewissen Lebensstil (z.B. dem Gang ins Bordell) entstehen kann. Der wichtigste Aspekt ist dabei sicher das Verlangen nach dem Objekt der Begierde. Das Objekt der Begierde ist nicht etwa die Zigarette oder die Heroinspritze, auch nicht das heisse Girl mit dem knackigen Po, sondern eine vorübergehenden Aenderng des Bewusstseinszustands. Ge-„sucht“ wird das „High“, der Kick, die Betäubung, der Rausch oder sonst irgenwas das irgendwie benommen macht. Diese Veränderung des Bewusstseinszustands kann einen Puffer zwischen uns und unsere Emotionen legen und ein Gefühl der Behaglichkeit schafffen. Deshalb wendet man sich oft der Sucht zu, wenn man bedrückt, gestresst oder sonst irgendwie unglücklich ist. Dabei können sowohl psychoaktive Substanzen involviert sein die man zu sich nimmt (z.B. Drogen, Nikotin, Alkohol), es können aber auch Zustände sein, die durch körpereigene Substanzen ausgelöst werden (z.B. Adrenalin, Endorphine, Serotonin).
Das Verlangen nach dem Objekt der Begierde ist eine „konditionierte Reaktion“, das heisst, man assoziiert seine Sucht automatisch mit gewissen Signalen. Wenn man z.B. ein hübsches Girl im Minirock auf der Strasse sieht, (oder die neue Beldona Unterwäschewerbung
) erwartet man automatisch Sex. Das Gedächtnis produziert die konditionierte Reaktion – das Suchtverlangen – ob man sich nun in einer Situation befindet wo Sex angebracht ist (z.B. im Bett mit der Partnerin) oder nicht. Ich denke dieses Verlangen kenne wohl die meisten Männer (und auch Frauen) bis zu einem gewissen Grad und somit kann man es als durchaus „normal“ bezeichnen. Den suchtgesteuerten Charakter unterscheidet vom Nichtsüchtigen in diesem Beispiel nur, dass der Süchtige dem Verlangen möglichst sofort nachgibt und beispielsweise den Weg ins Bordell einschlägt.
Der negative Aspekt der Sucht ist der Preis, den man dafür zahlen muss. Wenn man ein Verhalten als suchtgesteuert beschreibt, dann impliziert man, dass dabei ein Problem exisitiert. Das Problem ist die Belastung, die man tragen muss, wenn man kontinuierlich dem Suchtverlangen nachgibt, z.B. bezüglich Gesundheit, Vermögensstand, Selbstwertgefühl oder aber auch gewisser gesellschaftlicher und moralischer Normen (z.B. sexuelle Treue). Man kann durchaus süchtig nach eigentlich gesunden Dingen sein, wie z.B. Essen, Fitness oder aber auch Sex, aber der Teil des Verhaltens den man als süchtig bezeichnet, ist per Definition der Teil, welcher sich in irgendeiner Weise nachteilig auswirkt.
Ein Hauptproblem in Bezug auf Suchtverhalten is sicher, dass es oft zu einer sog. Suchttoleranz kommt, was heisst, dass sich der Körper an gewisse Zustände gewöhnt, die vom Suchtverhalten ausgelöst werden. Ein Bungee Sprung löst einen Adrenalinschub aus, welcher wiederum einen rauschartigen Zustand bewirkt. Das nächste mal fällt der Adrenalinschub schon kleiner aus, weil sich der Körper sich an die neuen Eindrücke gewöhnt hat. Um den gleichen Kick wieder zu erhalten, muss ein extremerer Sprung durchgeführt werden. Irgendwann ist dann das Maximum erreicht, ein noch extremerer Sprung ist nicht mehr möglich, ohne Leib und Leben zu gefährden. Viele Süchtige neigen dann dazu, dem fehlenden Kick mit einer erhöhten Frequenz des Suchtverhaltens zu begegnen. Das ist jedoch zum Vornherein zum Scheitern verurteilt, weil der Kick nicht grösser wird, je öfter man ihn sucht, sondern im Gegenteil. Je öfter man dem Suchtverlangen nachgibt, desto unbefriedigender wird es, weil die Suchttoleranz immer weiter ansteigt. Wer sich das nicht bewusst ist, schwebt in Gefahr, wirklich abzustürzen und die Kontrolle vollständig zu verlieren. Um den Kick möglichst lange aufrecht zu erhalten, sollte man dem Impuls also so selten wie möglich folgen. Das gelingt leider nur den Wenigsten, v.a. weil sich viele dessen gar nicht erst bewusst sind.
Was bei Sucht auch immer mit im Spiel ist ist die sog. sekundäre Konditionierung. Sekundäre Konditionierung bedeutet, dass man nicht nur Genuss aus der eigentlichen Sucht gewinnen kann, sondern auch aus allem was direkt mit ihr zusammenhängt. Ein Drogensüchtiger kann z.B. grossen Genuss aus der Anschaffung der Dorge wie auch aus dem Vorbereitungsritual zur Konsumation ziehen. Im Bezug auf den Bordellbesuch könnte sich das etwa so äussern, dass nicht nur der eigentliche Akt mit dem Girl Genuss verschafft, sondern auch die ganze „Vorbereitung“, sprich der Anfahrtsweg, der Flirt an der Bar, das Auswahlverfahren, die Dusche davor etc. Ob das tatsächlich so ist, kann ich nicht aus eigener Erfahrung sagen, die Tatsache jedoch, dass diese Vorbereitungsphase in sehr vielen Erfahrungberichten in diesem Forum beschrieben wird, könnte darauf hinweisen.
Bevor man nach etwas süchtig werden kann, muss man zuerst Zugang dazu haben, und je weiter es in unserer Gesellschaft verbreitet ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man damit zu tun bekommt. Wenn man das Angebot an käuflichem Sex in Europa betrachtet, dann wird schnell klar dass der Zugang immer leichter wird. Die Werbung, die ja von sexuellen Botschaften nur so strotzt, tut das ihre dazu. Verdeggel, man wird ja heutzutage bereits am Flughafen von Bordellwerbeplakaten nur so eingedeckt; da ist es kaum verwunderlich, dass das Angebot auch rege genutz wird.
Ein wichtiger negativer Aspekt von Sucht (ein zusätzlicher Preis, den man zahlen muss) sind Entzugserscheinungen, welche entstehen, wenn man dem Suchtverlangen nicht mehr nachgibt. Entzugserscheinungen werden oft körperlich wahrgenommen und deshalb neigen viele Leute dazu anzunehmen, dass es sich dabei nur um eine Art „Entgiftung“ handelt. Dem ist aber nicht so. Körperliche Entzugserscheinungen spielen in der Regel eine eher untergeordnete Rolle bei der Bekämpfung einer Sucht. Sie sind relativ schnell vorbei und man kann oft auch etwas dagegen tun. Viel schwieriger ist es, den psychischen Entzugeserscheinungen zu begegnen (dem konditionierten Verhalten). Diese dauern auch viel länger an und es kann sein, dass man nie mehr ganz davon loskommt (das heisst, dass immer mal wieder Lust auf das Suchtverhalten aufkommt, sei das nun eine Zigarette zu paffen oder einem netten WG einen Besuch abzustatten)
Untrennbar mit jeder Sucht verbunden sind Rechtfertigung (viele tun es) und Verleugnung (es wird mich nicht umbringen). Rechtfertigung und Verleugnung sind Versuche, sein Suchtverhalten vor sich selbst zu entschuldigen, oder aber ganz zu verleugnen. Das Ziel ist, Schuldgefühle zu vermeiden und einer Aenderung des Verhaltens entgegenzuwirken.
Jeder Sucht zugrunde liegt in Wirklichkeit ein innerer Wertekonflikt. Einer Sucht zu frönen heisst, dass man einen Wert (das Verlangen zu befriedigen) einem anderen Wert (Gesundheit, Selbstwertgefühl Moralvorstellungen) voranstellt. Deshalb ist der Prozess des Loskommens von einer Sucht immer auch mit einer Aenderung der inneren Prioritäten verbunden. Das ist ausschlaggebend, da jede Sucht durch das Durcheinander und die Unvereinbarkeit der Zielsetzungen verstärkt wird. Mit anderen Worten: um von einer Sucht loszukommen, muss man zuerst einmal herausfinden, ob und warum man das wirklich will. Das ist gewissermassen die Voraussetzung zum Erfolg.
Noch besser ist es natürlich, es gar nie soweit kommen zu lassen, indem man sich solche Fragen im Voraus stellt und dann die entsprechenden Konsequenzen zieht. Lässt man sich darauf ein, muss man bereit sein, den Preis zu zahlen. Ansonsten sollte man es wohl besser sein lassen…