quote:Affoltern / Dass sich Männer auf der Suche nach sexuellen Kontakten auf Autobahnraststätten treffen, hat in den vergangenen Wochen vermehrt zu Schlagzeilen geführt. «Die Vorstadt» hat den Rastplatz Büsisee unter die Lupe genommen.
«Es ist ein Irrtum, dass es sich bei den Männern mehrheitlich um offen lebende Schwule handle», weiss Thomas Schoch von der Zürcher Aids-Hilfe.
Es ist Mittwochabend, kurz vor 22 Uhr. Ich sitze im Auto mit Thomas Schoch, einem Mitarbeiter der Zürcher Aids-Hilfe, unterwegs zur Autobahnraststätte Büsisee am Nordring in Affoltern. Leichter Nieselregen, die schwüle Hitze des Tages liegt noch in der Luft. Auf dem Parkplatz stehen einige Autos im fahlen Licht der Kandelaber die meisten haben ein Zürcher Kennzeichen, aber es hat auch solche aus den Kantonen Aargau und Solothurn. «Alle sozialen Schichten sind hier vertreten», sagt Schoch mit Blick auf die Autos aller Preiskategorien. Auch ist nicht nur eine Altersklasse auf der Raststätte präsent. Ich sehe junge Männer, die vielleicht Anfang zwanzig sind. Sie tragen gepflegte Kleidung, «vielleicht waren sie schon in einer Bar», erklärt mir Schoch. «Doch die meisten Männer sind um die 60 Jahre alt.»
Thomas Schoch erzählt von seiner Präventionsarbeit als sogenannter «Outreach-Worker» auf dem Rastplatz: wie er sich manchmal stundenlang unter die Männer mischt und Kondome verteilt, kurze Gespräche führt. Vorbei an der Toilettenanlage, in deren Türen immer wieder Männer verschwinden, gehen wir auf eine Wiese. Sie ist Teil der Parkanlage, die den Parkplatz umgibt. In der Dunkelheit sind die Umrisse eines Findlings zu sehen, vereinzelte Bäume stehen auf der Wiese und ein Picknicktisch, der für rastende Autofahrer gedacht ist. Die Anlage scheint sehr gepflegt zu sein, auch ein kurzer Blick auf die Toilette zeugt von Sauberkeit. Auf einer Anhöhe entdecke ich einen Mann. Er steht hinter einem Baum. Noch ist er allein. Kurze Zeit später sehen wir ihn beim Picknicktisch wieder.
Hier im Park ist alles in Bewegung, zügig gehen die Männer über die Wiese, sie scheinen das Licht nicht zu scheuen. Jeder weiss, was hier gesucht wird. Thomas Schoch gibt bei seiner Arbeit vor, auch auf der Suche nach Sex zu sein. Wenn er von einem Mann angesprochen wird, gibt er sich als Mitarbeiter der Aids-Hilfe zu erkennen und sucht das Gespräch. An einem Abend verteile er bis zu 50 Kondome, erzählt Schoch, und führe mehrere Gespräche mit Männern. «Ich habe früher selber auf Rastplätzen sexuelle Kontakte gesucht.» Schoch kennt daher die Szene genau und weiss, wie viel Fingerspitzengefühl es braucht, um die Männer auf die «Safer sex»-Regeln aufmerksam zu machen.
In fester Partnerschaft
Die meisten Männer haben Angst, erkannt zu werden. Denn: «Es ist ein Irrtum, dass es sich bei den Männern mehrheitlich um offen lebende Schwule handle. Die meisten pflegen sonst nur sexuellen Kontakt mit Frauen, leben in einer festen Beziehung», erklärt Schoch.
So auch der 34-jährige Martin*, der etwa einmal im Monat auf der Raststätte sexuelle Kontakte sucht. «Ich komme hierher, um Druck abzulassen», erzählt er. Martin lebt in einer festen Partnerschaft, hat eine Freundin. Seit rund vier Jahren komme er hier auf den Rastplatz. Auf die Frage, worin für ihn der Reiz des Rastplatz-Sex liegt, sagt er: «Mir gefällt der Oralsex mit Männern besser als mit Frauen.» Seine Beziehung bringe er dadurch nicht in Gefahr, sagt der 34-Jährige. Er findet zwar, dass es auf dem Rastplatz durchaus attraktive Männer hat, doch «ich spüre bei ihnen nicht den gleichen Reflex wie bei Frauen». Er betont: «Ich bin nicht schwul.» Obwohl er sich das früher gefragt habe.
Martin bezeichnet sich als Romantiker, weshalb er sich auch mit seinen Partnern auf dem Rastplatz unterhält. Einen kenne er schon seit Jahren, sie seien sogar einmal zusammen einen Kaffee trinken gegangen. Doch Martin relativiert: «Letztlich geht es bei den Kontakten nicht um mehr als egoistische Bedürfnisbefriedigung.» Heute weiss er, was seine Bedürfnisse sind. So beabsichtigt Martin, irgendwann seine Freundin zu heiraten.
«Der Rastplatz ist gut gelegen auf meinem Arbeitsweg»
Auf dem Parkplatz stehen inzwischen rund ein Dutzend Autos. Vereinzelt bleiben die Männer in den Autos sitzen und warten ab. Andere gehen auf dem Trottoir auf und ab, in gemütlichem Tempo. Einer von ihnen, er ist vielleicht Mitte vierzig, hat sich eben auf der Toilette umgezogen. Er war im Anzug mit Krawatte hier angekommen, womöglich direkt von der Arbeit. Auch Martin kommt meistens auf dem Arbeitsweg zum Rastplatz, oft nach anstrengenden Sitzungen. «Der Rastplatz ist gut gelegen auf meinem Arbeitsweg.» Wenn er in der Firma Stress habe, sei das Bedürfnis nach dem anonymen Kontakt besonders gross. «Die sexuellen Erlebnisse helfen mir, meine psychische Gesundheit aufrechtzuerhalten», erzählt Martin. «Ich könnte auch joggen gehen, aber das wäre nicht das Gleiche.»
Seine Freundin wisse von nichts denn, so Martin, «ich liebe meine Freundin». Manchmal tue es ihm weh, wenn er daran denke, dass er seiner Freundin etwas verheimliche. «Früher hatte ich oft ein schlechtes Gewissen.» Inzwischen sei es aber schon zur Gewohnheit geworden.
Immer wieder verschwindet ein Mann in der Dunkelheit des Parks. Thomas Schoch und ich gehen über die Wiese, entdecken zwei Männer, die eng umschlungen neben einem Baum stehen und sich küssen. Schoch will nicht stören. Kurze Zeit davor hatte er sich über einen Mann aufgeregt, der demonstrativ an sich «herumfingerte». Er wolle nicht, dass sich andere Raststättenbesucher von den Männern gestört fühlen. Doch während des ganzen Abends treffen wir niemanden an, der nicht auf der Suche ist. In der Hosentasche hält Schoch die Kondome zum Verteilen bereit.
Verfehlter Naturschutz
«Die Raststätte Büsisee ist ein möglicher Treffpunkt für Männer, die Sex mit Männern suchen», erzählt Thomas Schoch von der Zürcher Aids-Hilfe. Doch das gefällt nicht allen. Auf Anregung des Quartiervereins Affoltern wurde Ende April ein massiver Zaun um das gesamte Areal gebaut. Zum Schutz des Wildes, wie die Baudirektion des Kantons Zürich im «Tages-Anzeiger» verlauten liess.
Doch der Zaun hat einen grossen Nachteil: Er zwingt die Männer, in Sichtweite der Parkplätze zu bleiben. Die ersten Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass dies der Suche nach dem kurzen Glück abseits der Autobahn keinen Abbruch tut.
*Name von der Redaktion geändert<!-/quote-!>