@Chrigu
Geh einfach davon aus, dass ich von sexuellem Missbrauch betroffene Menschen kenne, und zwar Kinder ebenso wie Erwachsene, Opfer ebenso wie Angehörige und Täter; dass ich weiss, wovon ich rede, wenn ich von Therapiemöglichkeiten spreche; dass mich Deine Lösungsvorschläge nicht deshalb stören, weil sie radikal oder veraltet sind, sondern weil sie unmenschlich sind.
Strafrechtliche Massnahmen gegen Pädophilie sind notwendig, keine Frage. Schutzmassnahmen ebenfalls. Doch dürfen diese Massnahmen nicht im Namen der Menschlichkeit ebendiese Menschlichkeit ausser Acht lassen. Und ein rein repressiver Ansatz, der sich auf Strafe und Schutzmassnahmen beschränkt, wird das Problem des sexuellen Missbrauchs von Kindern nicht in den Griff bekommen.
Es gibt unterschiedliche Arten von Pädophilen. Der „klassische“ Pädophile im engeren Sinn ist derjenige, der sich sexuell von Kindern und nur von Kindern angezogen fühlt. Er ist, so paradox das klingen mag, meist gar nicht so gefährlich, weil er Gefühle für die Kinder hegt, womit die Hemmschwelle für den Missbrauch steigt.
Tatsächlicher Kindsmissbrauch geschieht häufiger durch Pädophile, die sich nicht ausschliesslich, sondern auch durch Kinder sexuell angezogen fühlen. Sei es, weil sie ein ungenügendes Selbstwertgefühl haben, um eine gleichwertige Partnerin zu akzeptieren, sei es, weil sie den zusätzlichen Kick suchen, sei es aus einem Dutzend anderen Gründen.
Diesen Gründen kann man zum Beispiel mit Hilfe eines psychoanalytischen Ansatzes auf die Spur kommen. Ich bin selbst nicht Psychoanalytiker, deshalb lasse ich die Finger davon. Zu meinen Klienten gehört aber eine Familie, in der eins der Kinder sexuell missbraucht worden ist. Ich war zwar nicht der „Haupttherapeut“, denke aber, dass ich die Familie mit dem systemischen Ansatz, den ich verfolgt habe, unterstützen konnte.
Ein grosses Problem bei der Therapie ist das fehlende Unrechtsbewusstsein, das viele Pädophile an den Tag legen. Alle psychotherapeutischen Formen verlangen ein Mindestmass an Kooperationsbereitschaft von Seiten des Klienten. Aber auch bei anfänglicher Uneinsichtigkeit kann das Unrechtsbewusstsein sich im therapeutischen Kontext entwickeln und der Veränderungswille und damit die Kooperationsbereitschaft wachsen.
Das Problem mit Deinen Schwanz-ab-Methoden, Chrigu, ist, dass sie im Namen der Menschlichkeit unmenschlich vorgehen. Sie streben einen hundertprozentigen Schutz vor sexuellem Missbrauch an, deshalb Deine Betonung, dass die Methoden wirksam wären. Doch den hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben: auch ein bisher unauffälliger Mensch kann zum Ersttäter werden. Zudem sind die Mittel, die Du vorschlägst, unmenschlich. Mit Grausamkeit gegen Grausamkeit vorzugehen, mit Folter gegen Folter, mit Terror gegen Terror, das ist einer menschlichen Gesellschaft unwürdig.
Eine Gesellschaft, die meint, mit Grausamkeit und Unmenschlichkeit gegen einzelne ihrer Glieder vorgehen zu müssen, um sich vor ihnen zu schützen, ist eine unmenschliche Gesellschaft und verdient diesen Schutz nicht. Eine Gesellschaft, die sich mit grausamen, unmenschlichen Mitteln gegen Pädophile schützen will, hat ihr moralisches Recht verwirkt, gegen Pädophile geschützt zu sein. Oder, um es mit Benjamin Franklin zu sagen: „Those who desire to give up freedom in order to gain security, will not have, nor do they deserve, either one.“
Manuel